Rede von Dr. Constanze Werner (Museumsleitung Oberammergau) zur Ausstellungseröffnung (Nachrichten aus einem anderen Raum) am 5.3.2010:
Der Kunstmarkt verzeichnet in den letzten Jahren nachgerade einen Boom der gegenständlichen Malerei, wenn wir z. B. an die Preise denken, die Bilder der „Leipziger Schule“ erzielen. Doch gegenständliche Malerei ist keineswegs eine neue Mode, die beiden großen Linien der Moderne, Abstraktion und Figuration, verliefen immer parallel und sich gegense
itig befruchtend, wenngleich letztere bereits unzählige Male für tot erklärt wurde.
Auch für Stephanie Kelch-Oncken ist die realistische Malerei das geeignete Medium und die richtige Ausdrucksform für ihr künstlerisches Schaffen. Kelch-Oncken studierte von 1978-1980 am Schiller College of Fine Arts in Strasbourg bei dem francokanadischen Maler Roger Dale. In einer Zeit, in der an den Akademien vor allem die Abstraktion gelehrt wurde, hatte sie sich einen Lehrer gesucht, der „streng nach der Natur“ arbeitet und dies auch weiter vermittelte. Bei Roger Dale war das „Beobachtungszeichnen nach visueller Wirklichkeit“ einer der Studienschwerpunkte, er sah darin das wirkungsvollste Mittel, die Schüler zu lehren, genau und umfassend zu beobachten und dabei ein individuelles Sehvermögen zu entwickeln, durch das die Beziehung zwischen Künstler und Umgebung neu hergestellt wird (Interview mit Roger Dale 1989). Die beiden Jahre in dem einsamen riesigen Schloß im Elsass legten die künstlerischen Wurzeln für Kelch-Oncken.
Das darauf folgende Studium an der Beaux Arts in Paris brach die Malerin dagegen nach einem Jahr ab, der Unterricht war ihr zu theoretisch. Sie begann sich für die Graffitiszene zu interessieren und ging nach Berlin. In ihren ersten dadurch beeinflussten Werken orientierte sie sich stilistisch interessanterweise an Siebdrucken – Technik und Handwerk wurden damit zu einem wichtigen Teil des kreativen Vorgangs. Erst später entstehen Bilder (im Katalog Laßt mich träumen I und II), in denen abstrakte Malerei, Graffiti und Siebdruck neu verknüpft werden.
In den folgenden Jahren erarbeitete Stephanie Kelch-Oncken sich kontinuierlich neue handwerklichen Grundlagen und Fähigkeiten, die dann in ihre Arbeit einfließen. Sie lernte das Vergolden ebenso wie die Trompe l´oeil-Malerei und das Bemalen von Stoff und Möbeln. In den zahlreichen Aufträgen für das Fernsehen, Hotels, Geschäfte oder das Theater stehen die großen Formate – Wände, Kulissen uvm.- im Vordergrund. Bei der Bemalung von Möbeln für private Auftraggeber dagegen muss Kelch-Oncken kleinteilig, akribisch genau und nahezu detailversessen arbeiten. Daneben enstehen auch immer eigene Bilder.
Seit etwa fünf Jahren entwickelt sie einen ganz eigenen Malstil, in dem sich die handwerklichen Techniken, die Malereianfänge bei Roger Dale und auch die Einflüsse der Graffitikunst zu einem sachlich-magisch-surrealen Ganzen verbinden. Stephanie Kelch-Oncken malt nicht auf Leinwand , sondern auf verputztem Holz, so dass sie nahezu wie auf einer Wandoberfläche arbeiten kann. Verbunden mit Kaseinfarbe entsteht so freskoähnliche Malerei. Ihr detailgenauer, realistischer Malstil wirkt durch diese Technik nahezu träumerisch, der klare Pinselstrich und die bunten Farben werden weicher. Kelch-Oncken selbst schätzt an dieser Art zu malen besonders, dass sie verhaltener als Ölmalerei wirkt und dem Betrachter nicht ins Auge springt, sondern den Blick einlädt.
Beim Verweilen im Bild sieht man dann, dass die Künstlerin mit ihren Bildern realistisch-surreale Räume eröffnet – Landschaften, Zimmer, Gärten oder Stilleben – in denen die Grenzen zur Wirklichkeit verwischt werden. Kelch-Oncken malt ihre ganz eigenen Traum- und Phantasiewelten, sie will dabei aber gleichzeitig auch mit dem Betrachter in Kommunikation treten.
Ihre Bilder täuschen nicht nur vordergründig das Auge, sondern wecken Emotionen. Zuerst einmal Freude an den vielfältigen Mustern, den farbenfrohen Darstellungen, den schönen, manchmal vertrauten Landschaften. Nach der ersten Freude an einer schön gemalten Rosenhecke, fragt man sich dann aber, was hinter dem dunklen Eingang passiert oder lauert oder einlädt. Warum liegt eine der Schildkröten auf dem Rücken, ist der alte Mann mit dem Hackbeil Opfer oder Täter? Die Frage nach den Grenzen unseres Sehens, unserer Wahrnehmung und unserer Bewusstheit ist immanent hineingemalt in diese Bilder. Wunderbare, realistische Malerei stellt hier die Frage nach der Realität immer wieder neu.
Auch in ihren sensiblen Portraits – viele davon zeigen Kinder, und es ist besonders schwierig, die noch nicht fertigen jungen Gesichter darzustellen – will die Malerin hinter die Fassade blicken: „So wie ich meine Innenwelten nach aussen trage, ist es eine äußerst bereichernde Herausforderung mich an die Innenwelten der Portraitierten heranzutasten.“ Künstler wollten schon immer nicht nur die Umrisslinien der Realität darstellen, sondern vielmehr das Wesen der Dinge aufzeigen. Es ist kein Paradoxon, dass gerade in der gegenständlichen Malerei immer wieder Künstler ihre ganz eigenen Wege finden, die Wirklichkeit zu hinterfragen.
Eine Leinwand die eigentlich eine verputzte Wand ist, Kasein- und nicht Acrylfarbe, Illusionsmalerei statt Fotorealismus, Außenwelten die Innenwelten zeigen. Stephanie Kelch-Oncken hat ihren ganz eigenen Stil gefunden, uns zarte und doch kraftvolle Bilder zu zeigen, die uns einen Blick in ihre Wahrnehmung geben und damit die Gelegenheit unseren eigenen Blickwinkel zu sensibilisieren.